“Wir sind da, wenn die eigenen Probleme oder die in der Familie mal wieder so mächtig sind, dass gar nichts mehr zu gehen scheint.”

Riem ist mittlerweile der kinderreichste Stadtteil Münchens. Durch eine hohe Dichte an sozial geförderten Wohnungen gibt es hier viele Familien, die prekären Lebenssituationen ausgesetzt sind. Seit 2017 engagiert sich im Quartier die Stiftung Lichtblick zusammen mit der STARTSTARK gGmbH vor allem im Präventionsbereich, aber auch in der Lern- und Familienförderung, hilft bei der Berufsorientierung und stärkt die soziale Teilhabe. Im Interview erklärt Norbert Blesch, Geschäftsführer der STARTSTARK gGmbH, wie den Jugendlichen konkret geholfen wird und welche Auswirkungen die Pandemie auf sie hat. 

Projekt Steckbrief

ProjektdurchführungStiftung Lichtblick Kinder- und Jugendhilfe

Viktoriastraße 9
80803 München

Aktionsjahr2020
OrtOberbayern, München
Fördersumme1.000.000,00 €

Das bisherige Ladenlokal platzt aus allen Nähten, deshalb entsteht auf etwa 500 Quadratmetern Fläche eine erweiterte, niederschwellige Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche. Sternstunden finanziert den Innenausbau und die Ausstattung der Räumlichkeiten. Es soll ein Ort werden, an dem die Mädchen und Jungen Unterstützung und Zusammenhalt finden und zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen können, die alle erreicht und keinen zurücklässt. 

Gate 6
© Foto: STARTSTARK, Simon Geisberger

Interview mit Norbert Blesch, Geschäftsführer der STARTSTARK gGmbH
 

Wer kommt zu Ihnen in die Einrichtung?

Unsere Hauptzielgruppe sind derzeit vor allem junge Menschen, ab der 7. Klasse, die die Mittelschule besuchen. Denn dann beginnt für die Schülerinnen und Schüler eine Zeit, in der sie sich aktiv damit beschäftigen müssen, wie es mit ihnen nach ihrer Schulzeit weitergeht. Mädchen und Jungen, die sich in dieser Phase der Orientierung schwer tun und die niemanden haben, der Ihnen hierbei in ausreichendem Umfang hilft, kommen zu uns. Die Gründe, die dazu führen, sind vielfältig: Eltern, die sich selbst nicht auskennen und überfordert sind, ihre Kinder adäquat zu begleiten und zu unterstützen. Mangelnde Motivation, oftmals als Ergebnis einer langen Kette von Misserfolgen oder Erfahrungen, nicht zu genügen, es ohnehin nicht schaffen zu können, Enttäuschungen.

Wie helfen Sie?

Zum einen arbeiten wir eng zusammen mit der Mittelschule hier im Stadtteil sowie den hier tätigen Organisationen und Einrichtungen. Wir begleiten die Schule und entwickeln mit ihr alternative Programme der Potenzialförderung. Zum anderen begleiten wir die jungen Menschen, bei denen sich herausstellt, dass sie die Anforderungen auf dem Weg zum Schulabschluss und Ausbildungsplatz nicht alleine meistern. Sozialpädagogische Fachkräfte begleiten sie dann individuell, je nachdem wo der Unterstützungsbedarf liegt: Bei der Suche nach Praktika und der passenden Ausbildungsstelle, bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen, bei der Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch. Wir organisieren passgenaue Lernangebote, sei es in Form von Nachhilfe, Lernwochen oder durch Lernpatenschaften. Und: Wir sind da, wenn die eigenen Probleme oder die in der Familie mal wieder so mächtig sind oder werden, dass gar nichts mehr zu gehen scheint. 

Was denken Sie, was hat die Pandemie für Auswirkungen auf die Jugendlichen, die Ihre Einrichtung besuchen? 

Wir können das meines Erachtens nach so zusammenfassen: Die Kluft zwischen den jungen Menschen, denen Teilhabe im Großen und Ganzen gelingt und denen, die von der Teilhabe ausgeschlossen sind, wurde und wird durch die Pandemie noch größer. Dafür gibt es viele Gründe. Am Anfang waren wir bemüht, Technik zu beschaffen, um Homeschooling und das Kontakthalten zum Klassenverband und den Lehrkräften überhaupt erst zu ermöglichen. Das aber war nur ein erster, eher kleiner Schritt. Die Jugendlichen, die sich ohnehin schon schwer tun, sich zu motivieren oder an etwas dran zu bleiben, verloren noch mehr Halt. Nach einem Jahr im Ausnahmezustand können viele von uns sicher nachempfinden, welche Fähigkeiten der Selbstorganisation und Motivation es braucht, um sich zurecht zu finden mit den neuen Bedingungen des Homeoffice, oftmals auf sich allein gestellt, sitzend vor einem Bildschirm und einer Kamera. Für junge Menschen, die erstmal keine Profis in Selbstorganisation und Motivation sind: Wieviel schwerer mag das für sie erst sein? Auch unsere Jugendlichen haben im zurückliegenden Jahr viele Kompetenzen dazugewonnen, insbesondere auch im digitalen Umfeld. Ohne ein "analoges Umfeld", ohne den direkten persönlichen Kontakt hätten viele es aber nicht geschafft, mit dieser neuen Wirklichkeit zurecht zu kommen. Und: Die Pandemie hat unmittelbare Folgen auf das Angebot von Praktikums- und Ausbildungsplätzen. Das ist spürbar zurückgegangen. Für junge Menschen, bei denen es offensichtlich ist, dass sie den unterstützenden Griff unter die Arme noch brauchen, ist es umso schwerer an diese Plätze zu kommen.

Stiftung Lichtblick Kinder- und Jugendhilfe
© Foto: STARTSTARK, Simon Geisberger

Können Sie uns konkrete Erfolgsgeschichten erzählen?

Wir begleiten über das Jahr hinweg laufend 120 junge Menschen. Und letztlich können wir 120 Erfolgsgeschichten erzählen, denn jede und jeder hat bisher den für sich besten nächsten Schritt gefunden, den sie/er gehen kann. Wenn am Ende eines Schuljahres fast 30 der von uns begleiteten Schülerinnen und Schüler ihren Schulabschluss schaffen, wenn 23 Schülerinnen und Schüler die Schule mit einem Ausbildungsvertrag in der Tasche verlassen, in einem Ausbildungsberuf, der zu ihnen passt, dann sind das Erfolgsgeschichten, auf die wir stolz sind. Oder: Wenn Schülerinnen und Schüler "plötzlich" über die von der Schule vorgeschriebenen Praktika hinaus von sich aus nochmal ein Praktikum in den Schulferien machen wollen, weil sie wissen, dass das ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz erhöht. Wohl gemerkt: Wir sprechen hier immer von jungen Menschen, die zu uns kommen, weil z.B. die Schule davon ausgeht, dass diese mehr brauchen, als es das Elternhaus zu leisten in der Lage ist oder auch die Schule. 
 

Weil das bereits bestehende Ladenlokal zu klein ist, wird eine neue erweiterte Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche geschaffen, was bewirkt die Hilfe von Sternstunden dabei?

Wir befinden uns mitten in der Phase der Kontaktbeschränkungen. Dass wir Anfang März die ersten 320 Quadratmetern in Betrieb haben nehmen können ist wirklich ein Segen: Auf einen Schlag können wir plötzlich für 10 Mal so viel Jugendliche zur gleichen Zeit als Ansprechpartner da sein, und das unter Einhaltung aller notwendigen Hygieneauflagen. Wohlgemerkt: Wir reden von jungen Menschen, die den "Präsenzkontakt" brauchen, nicht zuletzt, um sich in der neuen digitalisierten Welt zurechtzufinden. Mit den neuen Räumen ist wie auf einen Schlag eine Lebendigkeit eingekehrt, die uns in all unseren Planannahmen bestätigt. Diese Lebendigkeit ist natürlich kein Selbstzweck. Vielmehr entsteht sie durch die jungen Menschen selbst, die kommen, weil sie in uns jemanden finden, der sie ernst nimmt in ihren Nöten, vor allem aber auch in ihren Interessen und ihrem Wunsch teilhaben zu können am Leben unserer Gesellschaft, selbstbestimmt!