Heike Kramer macht sich Gedanken über gesundheitliche Chancengleichheit
Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im März macht sich Dr. Heike Kramer von der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e.V. Gedanken über gesundheitliche Chancengleichheit.
Es sind Momente, wie diese, die mir vor Augen führen, wie unverzichtbar unser Einsatz als Ärztinnen und Ärzten an Schulen ist: Als ich die 15-jährige Fatma an einer bayerischen Gesamtschule treffe, fragt sie mich, ob die Gefahr, dass ihr Jungfernhäutchen im Sportunterricht reißt, irgendwann vorübergehe. Ihren Mitschüler Leon beschäftigt die Frage, warum er diese Gebärmutterhalskrebsimpfung (eigentlich HPV-Impfung) braucht. Später in der 10. Klasse ist das vorherrschende Thema: Schwanger – was nun?
Biologie- und Sexualkundeunterricht decken nicht alles ab, was Heranwachsende bewegt. Wir sind deshalb in puncto sexuelle und reproduktive Gesundheit eine wichtige, neutrale Wissensquelle für die Schülerinnen und Schüler. Nahezu täglich stellen sie uns unabhängig von Schulart, Alter, Elternhaus, mit oder ohne Migrationsgeschichte Fragen, die sie weder ihren Eltern noch Lehrkräften stellen können oder wollen. Von uns bekommen sie fundierte Antworten – vertraulich und verlässlich.
Wo TikTok & Co. Konjunktur haben und Influencerinnen und Influencer oft mehr als fragwürdige Meinungen verbreiten, gesellt sich zu Vorurteilen und Unsicherheit schnell gefährliches Halb- oder Falschwissen. Da bleibt dann auch die Kompetenz im Umgang mit dem eigenen Körper auf der Strecke. Wir wollen, dass Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft, Sozialisation oder Religion über fundierte Informationen verfügen, die ihnen helfen, den eigenen Körper kennen, schätzen und schützen zu lernen. Deshalb besuchen wir besonders Schulen in sozialen Brennpunkten ab der 4. Klasse bis hin zur Berufsschule, um dort alters-und kultursensibel in geschlechtshomogenen Gruppen Fragen rund um die sexuelle und reproduktive Gesundheit zu beantworten, auf Schutzimpfungen und Krebsvorsorge hinzuweisen, über Verhütung, Schwangerschaft, sexuell übertragbare Infektionen und vieles mehr zu sprechen. Jährlich erreichen wir so rund 80.000 Schülerinnen und Schüler.
Es geht in diesen Stunden um Verantwortung – sich selbst und anderen gegenüber. Und um Bewusstsein – für eigene Bedürfnisse und die anderer, für Risiken, Prävention und vorhandene Angebote. Dann lernt Fatma, dass ihr Hymen beim Sportunterricht sicher nicht reißen wird. Leon versteht, dass seine HPV-Schutzimpfung nicht nur zur Gemeinschaftsimmunität aller Geschlechter beiträgt, sondern er dadurch selbst auch vor HPV-bedingtem Anal- oder Mund-/Rachenkrebs geschützt ist. Die Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse lernen Beratungsangebote kennen und gleichzeitig wird ihnen am Beispiel Alkohol bewusst, dass Schwangere und werdende Väter nicht nur für sich, sondern ebenso fürs ungeborene Leben Verantwortung tragen. Denn Alkohol ist nicht nur der häufigste Grund bei Jugendlichen, warum Verhütung scheitert, sondern Konsum während der Schwangerschaft ist auch die häufigste Ursache für nicht genetisch bedingte körperliche, geistige und seelische Behinderungen, Wachstums- und Entwicklungsstörungen bei Neugeborenen. Jährlich kommen in Deutschland mehr als 12.000 Kinder mit dieser unheilbaren, aber bei konsequenter Alkoholabstinenz sicher vermeidbaren Krankheit, der sogenannten fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD), zur Welt. Um aufzuklären und unbedachtem Verhalten vorzubeugen, haben wir das Projekt „Schwanger? Mein Kind trinkt mit! – Alkohol? Kein Schluck, kein Risiko!“ zur FASD-Primärprävention ins Leben gerufen. Wir sind sehr dankbar, dass Sternstunden uns schon seit zehn Jahren unterstützt und auch unsere FASD-Puppe FASI finanziert hat, mit der wir unter dem Motto „Anschauen und Begreifen“ Schülerinnen und Schülern einen emotionalen Zugang zum Thema ermöglichen: Denn Wissen schützt vor folgenreicher Leichtfertigkeit – und sollte allen zugänglich sein.
Um unsere erfolgreiche Arbeit ausbauen zu können, suchen wir weitere engagierte Ärztinnen und Ärzte.
Meldung erstellt am: 08. März 2024