Heiner Koch und Irmingard Lochner machen sich Gedanken über Psychotherapie
Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im Oktober machen sich Heiner Koch und Irmingard Lochner vom Albert-Schweitzer-Familienwerk Bayern e.V. Gedanken über Psychotherapie.
Keine Angst vor Psychotherapie
Viele Kinder, die in unseren Kinderhäusern wohnen, bekommen dort auch Psychotherapie. Sie haben in ihrem kurzen Leben schon viele schwierige Erfahrungen machen müssen, zum Beispiel Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch an Körper und Seele. Sie haben schwere Verluste zu verkraften und konnten sich auf Grund dieser schwierigen Startbedingungen nicht altersgerecht entwickeln. Viele zeigen dementsprechende schwierige Verhaltensweisen und haben allgemein Probleme mit sich und ihrer Umwelt. Verschiedene Therapien sind daher nötig, um den Kindern die Chance zu geben, diese Probleme aufzuarbeiten, in einer geschützten Atmosphäre die schwierigen Erfahrungen zu verarbeiten und neue, konstruktive Verhaltensweisen zu lernen.
Dass in diesen Fällen Therapie nötig und nützlich ist, leuchtet den meisten Menschen ein. Aber dass in unserer Gesellschaft, von der jede und jeder ein Teil ist, rund ein Viertel der Erwachsenen von einer psychischen Störung betroffen sind (also fast 18 Millionen Menschen) und nur weniger als 20 Prozent von ihnen professionelle Hilfe suchen, ist wenig bekannt. Es dauert oft sehr lange, bis sich Betroffene in Behandlung begeben, denn für viele Menschen hört sich der Begriff Psychotherapie nach Stigma an, und auch nach etwas, was man selbst keinesfalls braucht und auch nicht brauchen möchte. Gerade auch Personen, die in helfenden und sozialen Berufen tätig sind, unterliegen oft starken emotionalen Belastungen. Sie sorgen für andere Menschen und übernehmen dabei viel Verantwortung. So geraten sie leichter in Gefahr, sich selbst zu vernachlässigen und zu erschöpfen. Dann ist es nötig aufzutanken, sich selbst einmal unterstützen oder therapeutisch begleiten zu lassen.
Viele Menschen haben eine große Scheu davor, sich auf die Spurensuche nach den Ursachen ihrer Probleme zu machen. Sie haben Angst vor dem, was auf sie zukommt, und sie haben Zweifel, ob eine Therapie wirklich nützlich ist. Dabei ist Psychotherapie nur ein Lernprozess und zielt darauf ab, das Verhalten, die Einstellungen und das Erleben einer Person durch Erfahrungen und Erkenntnisse zu verändern. Viele Studien zeigen: Zwei von drei Patienten profitieren deutlich von einer Psychotherapie, im Durchschnitt also um die 70 Prozent. Die Befragung von Patienten, die in den vergangenen fünf bis 20 Jahren (im Schnitt vor acht Jahren) auf Grund einer psychischen Störung wie Depression, Angst- oder Essstörung behandelt worden sind, ergab, dass 38 Prozent die Therapie als sehr wirksam und 29 Prozent deutlich wirksam bezeichneten. Die Studie ergab eine Effektstärke von im Schnitt 0,88 (je nach Störung bei 0,35 bis 1,37). Psychotherapie wirkt auch besser als ein Placebo. Zum Vergleich: Die Effektstärke einer Bypass-Operation liegt bei 0,8, einer medikamentösen Therapie bei Arthritis bei 0,61 und von Aspirin zur Herzinfarktprävention bei lediglich 0,07.
Psychotherapie zeigt Wirkung und sie ist eine gute Möglichkeit, um innerlich zu wachsen, resilienter zu werden und ein zufriedeneres Leben führen zu können. Das gilt nicht nur für unsere Kinder und Mitarbeitenden, sondern für jeden Menschen.
Zum Schluss wollen wir Ihnen noch etwas Persönliches von uns mitgeben: Scheuen Sie sich nicht, nach passender Hilfe für sich zu suchen, wenn Sie Entlastung brauchen oder mehr Lebensfreude erleben wollen. Sie sind der wichtigste Mensch in Ihrem Leben!
Meldung erstellt am: 20. Oktober 2023