Tanja Biallas macht sich Gedanken über Traumata
Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im Mai macht sich Tanja Biallas vom Verein zur Förderung der Behandlung Brandverletzter Gedanken über Traumata.
Trauma – ein vielfältig besetztes Wort; vorwiegend negativ konnotiert. Was ich an dem Wort mag: Es beinhaltet Traum und Raum, also etwas wohlig Weiches, Leichtes, schwebend, in einer anderen Dimension und Weite, Ausdehnung.
Mit Hilfe von Sternstunden ist es dem Verein zur Förderung der Behandlung Brandverletzter e.V. (VFBB) möglich, das körperliche und seelische Trauma von schwerstbrandverletzten Kindern zu lindern.
Was verbindet mich mit dem Wort, mit dem Zustand Trauma? Ich wurde bei einem Verkehrsunfall, bei dem mein Wagen in Brand geriet, schwerstbrandverletzt und bin am Unfallort ins Koma gefallen, ich bin den qualvollen Schmerzen der Brandwunden erlegen. Und gleichzeitig entfaltet sich hier die nächste sprachliche Schönheit mit dem Wort Wunde (griech. Trauma): Aus einer Wunde entstehen Wunder, welche sich für mich in dem fortwährenden Heilungsprozess eines schwerstbrandverletzten Menschen spiegeln, diese unglaubliche Heilkraft, die in jedem Menschen steckt und sich auch in den Folgejahren, nach dem ursprünglichen Verbrennungstrauma, bei jeder einzelnen Operation zeigt. Immer mehr verstehe ich die alte Redewendung ´Der Arzt operiert/verbindet die Wunde und Gott heilt sie´. Mir ist das Wort Trauma sowohl aus der Theorie als auch aus der Praxis, durch eigenes Erleben bekannt.
Zwei Seiten der Medaille:
Einerseits – in der Akutsituation - ein Zustand, der den Menschen abschaltet, ins Koma versetzt (Bewusstseinsverlust/Kontrollverlust), um den qualvollen Zustand zu erleichtern – durch die Positivbrille: ein temporärer Rückzugsort.
Andererseits eine schwer belastende und derart nachhaltige und tiefgreifende Veränderung, Schädigung auf der körperlichen und seelischen Ebene, welche im Regelfall ein Leben lang Bestand hat und sich nicht willentlich beeinflussen lässt. Für mich ähnelt es einer Umprägung, insbesondere des Nervensystems: Dauerspannung, der Sympathikus in permanenter Alarmbereitschaft (immer Vollgas, immer auf der Flucht), der Alltag wird in vielen Bereichen als Bedrohung wahrgenommen. Das Lebensfundament hat einen nachhaltigen Riss, die Integrität wurde extrem erschüttert und auch nach Jahrzehnten schwingt immer noch unbewusst die Erkenntnis und Erfahrung mit, dass das Leben ausgehaucht werden kann, mit einem einzigen Atemzug (buchstäblich und metaphorisch) – ähnlich einer Kerze im Wind. Die Fragilität des Lebens ist sehr präsent.
Im Kontext von Verbrennungen spielt sich neben den rein äußerlichen Veränderungen, die direkt sichtbar sind, gleichzeitig ganz viel auf der unsichtbaren, psychisch-emotionalen Ebene, in der Tiefe, unter der Haut ab. Um weiterhin gefühlsmäßig auf der Sonnenseite zu bleiben: Aus einem hochdramatischen, traumatisierenden Lebensereignis, können zarte Pflänzchen der Dankbarkeit erwachsen und sich im Laufe der Jahre zu mächtigen, kraftvollen Bäumen entwickeln.
Genau dies ist bei mir der Fall: Es sind diese äußerst wertvollen und großartigen Menschen, welche in diesen extremen Situationen einfach da sind, Lösungen und Hilfe anbieten. Allen voran plastische Chirurgen und Organisationen wie Sternstunden, welche die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, damit wir als VFBB e.V. denjenigen helfen können, die aus ärmsten Ländern und Krisengebieten stammen. Wir können ihnen gemeinsam Hoffnung und Perspektive geben und ihr Trauma drehen.
Natürlich kann ich nicht sagen, wie sich meine inneren Werte, meine innere Haltung ohne diese traumatischen Erfahrungen entwickelt hätten. Ich kann für mich sagen, bei aller Dramatik wurden gleichzeitig unendlich viele Pflanzen der Dankbarkeit gepflanzt. Nach wie vor könnte ich oft vor Dankbarkeit auf die Knie fallen und mich in Tränen der Dankbarkeit ergießen – es ist sehr schön, etwas sehr Besonderes, so tief fühlen zu können.
Meldung erstellt am: 11. Mai 2023