Marcus Leonhardt macht sich Gedanken über Beruf(ung) und den Sinn des Lebens
Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im Januar macht sich Dr. Marcus Leonhardt, Geschäftsführender Vorstand Gesundes Afrika e.V., Gedanken über Beruf(ung) und den Sinn des Lebens.
Beruf(ung)
Jede und jeder Berufstätige, vermutlich jeder Mensch, stellt sich von Zeit zu Zeit die Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Sinn des eigenen Handelns. So auch, und vielleicht sogar gerade dann, wenn man in der Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt ist. Oft begegnen uns bürokratische Schwierigkeiten, Herausforderungen bei der Umsetzung vor Ort, Überlegungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit, der Wirksamkeit nach Ende einer Projektförderung.
Häufig ist man Kritik an der Entwicklungshilfe ausgesetzt. Da hört man Sätze wie „Ach, schon wieder so ein Gutmensch“, „Ihr steckt euch doch die Spenden selbst in die Tasche“, oder auch „Afrika? Schon wieder Afrika? Noch immer Afrika?“
Und in Zeiten wie diesen tauchen Herausforderungen, die man vormals als weit weg empfunden hatte, vor der eigenen Haustür auf: die Auswirkungen der Pandemie und des Ukraine-Kriegs, die Migrationsbewegungen. Als Resultat sinken die Spendeneinnahmen, die die Arbeit und Unterstützung in und für Afrika erst möglich machen. Erneut kommt der Moment, in dem man sich die Frage nach dem Sinn der eigenen Tätigkeit stellt. Ob es das wert ist, immer wieder gegen so viele Windmühlen anzukämpfen.
Was mir ganz persönlich in solchen Momenten hilft, ist die Erinnerung an ein Projekt im Südsudan. Ein Land, das von der Weltöffentlichkeit als „gescheiterter Staat“ eingestuft wurde: 20 Jahre Bürgerkrieg und nach Erlangen der Unabhängigkeit blutige Auseinandersetzungen um das entstandene politische Vakuum. Schon vor Jahren waren hier die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren: kaum zu beschreibende Hungersnöte, Wassermangel und Heimatverlust – von denen, wie so oft, am stärksten die Kinder betroffen sind. In deren Augen zu schauen, gegen die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit anzukämpfen, war für unsere Organisation seit jeher die stärkste Motivation. Und trotzdem reicht der gute Wille an sich oft nicht. Häufig bekommt man den Eindruck, dass das, was mit den Händen aufgebaut wurde, mit dem Allerwertesten wieder eingerissen wird.
Bei einer meiner Projektreisen in den Südsudan saß ich am Abend mit dem lokalen Projektpersonal zusammen. Denn es ist die Philosophie unserer Organisation, nicht eigenes Personal aus dem Norden die Arbeit vor Ort umsetzen zu lassen, sondern ausschließlich lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beschäftigen, und so vor Ort die Kapazitäten zu stärken.
Wir waren umhüllt von der schlagartig einsetzenden Dunkelheit und der unendlichen Weite. Auch nachts herrschte noch eine Gluthitze. So saßen wir in einer nur durch Kerzen beleuchteten Hütte. Wir sprachen über die Arbeit, aber auch über den persönlichen Hintergrund, die unterschiedlichen Herkünfte, Voraussetzungen und Möglichkeiten, die uns offenstanden. Immer wieder bewunderte ich die Sehnsucht nach Bildung, die Bereitschaft, so hart und erbarmungslos zu arbeiten. Und dann schaute der Projektmanager mich an und sagte den folgenden Satz: „Ich war früher Kindersoldat. Wenn ihr nicht gekommen wärt, wenn ihr unser Land, unsere Brüder und Schwestern nicht unterstützen würdet, dann würde ich noch heute bei den Rebellen sein.“
Meldung erstellt am: 20. Januar 2023