Thomas Heinicke macht sich Gedanken zum Thema Begegnungen
Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im September macht sich Thomas Heinicke, Fachbereichsleiter bei der Rummelsberger Dienste für junge Menschen gGmbH, Gedanken zum Thema "Begegnungen".
Wenn Kinder und Jugendliche bei uns in einer stationären Wohngruppe des Jugendhilfezentrums in Rummelsberg aufgenommen werden, dann sind die ersten Tage die schwierigsten. Alles und jede*r ist fremd und oft mit vielen Ängsten behaftet. Die Eltern, die Geschwister, das Haustier fehlen, Heimweh macht sich breit.
Wir versuchen die Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit besonders intensiv zu begleiten und den Anfang so angenehm wie möglich zu gestalten. Wichtig sind dabei vor allem die Begegnungen mit den anderen Kindern.
Wir Erwachsenen kommen meist über Gespräche und Informationen in Kontakt.
Unter den Kindern geht es meistens ganzheitlicher zu, wenn etwa Paul mit dem neuen Martin rausgeht und ihm den Innenhof zeigt. Und dort gibt es viel zu entdecken. Der Innenhof ist eine Mischung aus Skateranlage, Basketball- und Bolzplatz, mit Hügeln, Rampen, Schrägen und einer Tischtennisplatte. Und kaum sind die Kinder mit einem rollenden Gefährt auf dem Gelände unterwegs, tritt die Veränderung ein.
Es sind diese ersten Begegnungen die alles verändern und Martin sich das erste Mal traut, mit seinem Scooter von der Rampe zu rauschen und gemeinsam mit Paul auf dem gegenüberliegenden Hügel ankommt, ohne nochmal treten zu müssen.
Begegnungen sind es, die uns verändern und wachsen lassen. Sozial- und Religionsphilosoph Martin Buber hat es mit dem Satz „Der Mensch wird am Du zum Ich“ so unvergleichlich formuliert. Welt-, Selbst- und Gotteserkenntnis geschehen dialogisch und genau dabei wollen wir die jungen Menschen begleiten und Gelegenheiten schaffen, in diesen Dialog zu kommen, der oft gar nicht vieler Worte bedarf. So wie wir in Matthäus Kapitel 18 Vers 3 aufgefordert werden: „…werdet wie die Kinder…“
Die meisten der etwa neunzig Kinder und Jugendlichen des Jugendhilfezentrums wohnen und leben hier. Eine Heimat auf Zeit. Etwa ein Drittel wird tageweise betreut.
Dabei finden täglich zahllose Begegnungen auf den Spielflächen im Innenhof statt, mit einer hohen Durchmischung der Gruppen, Altersklassen, Geschlechter, Kulturen, Religionen, und so weiter. Vielfalt pur. Das Miteinander kann Gelingen, muss es aber nicht, Konflikte gehören bei so vielen Menschen zum Alltag und sind ebenfalls ein Lernfeld.
Die Wohnanlage des Jugendhilfezentrums stammt aus den 70er Jahren. Alle Wohngruppen wurden im Lauf der letzten Jahre von Grund auf renoviert und den Bedarfen des gesellschaftlichen Wandels angepasst; nur die Außenanlagen blieben gleich. Der Zahn der Zeit nagte auch hier erheblich –irgendwann wirkte alles trostlos und abweisend.
Dank der enormen Spendenmittel von Sternstunden e.V. konnten wir nun den gesamten Innenhof, diesen wichtigen Raum der interaktiven Begegnung, neu denken und gestalten. Unter Beteiligung der Wünsche und Ideen der Kinder, Jugendlichen und Pädagog*innen entstand und entsteht ein ganz neuer Lebensraum für die jungen Menschen. Ein ganzheitliches Erfahrungsfeld der Interaktion, eine Experimentierfläche der Selbstwirksamkeit.
Martin ist inzwischen in seiner Wohngruppe gut angekommen, manchmal hat er trotzdem großes Heimweh. Dann hilft es, wenn er sich mit Paul einen Scooter schnappt und den Hügel runtersaust oder beide zusammen mit den Betreuer*innen eine Runde Kicken gehen oder Tischtennis spielen.
Meldung erstellt am: 27. September 2022