Die Schriftstellerin Tanja Kinkel macht sich Gedanken zum Thema "Hoffnung"
Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im April macht sich Tanja Kinkel von Brot und Bücher Gedanken zum Thema "Hoffnung".
In dem mehrteiligen Fantasy-Epos "Der Sandmann" - von Neil Gaiman, nicht E.T.A. Hoffmann – gibt es eine Szene, in welcher der König der Träume, Morpheus, eine Art magische Variante des Kinderspiels "Schere, Stein, Papier" zu bestehen hat. Sein dämonischer Gegner verwandelt sich in immer gewaltigere Wesen, während Morpheus auf kleine, aber effektive Kreaturen setzt – etwa eine Stechfliege oder einen Virus. Zum Schluss des Duells wählt der Dämon als Form das "alles verschlingende" Universum zum Zeitpunkt seines Untergangs – selbst die Sonnen sind dabei, zu erlöschen. Daraufhin sagt Morpheus: "Ich bin die Hoffnung." Und hat das Duell gewonnen. Das erschien mir schon beim Erstlesen sehr einleuchtend, aber erst bei der erneuten Lektüre fiel mir der kleine Widerhaken auf, der folgt. Dem Dämon fällt als Entgegnung nichts mehr ein. Um die Lage für die Hölle zu retten, protestiert der Vorgesetzte des Dämons, Luzifer persönlich, Hoffnung habe in der Hölle nichts zu melden. Im Gegenteil, entgegnet Morpheus: Welche Macht hätten Luzifer und seine Dämonen über die gequälten Seelen in der Hölle, wenn diese keine Hoffnung mehr hätten?
Hoffnung hat zwei Seiten. Sie verleiht Stärke, verbindet Menschen miteinander, sorgt dafür, dass man auch im Elend nicht aufgibt, ganz gleich, wie schlimm es aussieht. Ohne Hoffnung, die uns wieder und wieder inspiriert, würden wir als Spezies wohl nicht mehr existieren. Aber es gibt auch Situationen, in denen die Hoffnung auf ein klein wenig persönliches Glück instrumentalisiert wird, um Machtstrukturen zu erhalten, oder die Hoffenden danach umso schmerzhafter zu enttäuschen, etwa, um ihren Willen zu brechen. Hoffnung kann auch zur Folter pervertiert werden.
Damit will ich nicht behaupten, es sei besser, überhaupt nicht zu hoffen. Im Gegenteil. Nihilistisch die Hände in den Schoß zu legen, mit dem Argument, es habe doch ehe nichts einen Sinn und sei alles hoffnungslos, das ist für mich nie eine Option. Aber: so schwer es fallen mag, manchen fürchterlichen Situationen kann man nur entkommen, wenn man das Ziel seiner Hoffnung ändert, statt sich immer wieder enttäuschen zu lassen.
Etwas, was dabei hilft, die eigene Hoffnung zu ändern: sich überlegen, ob man dazu beitragen könnte, die Hoffnungen anderer Wirklichkeit werden zu lassen. Kinder und Jugendliche verbinden mit dem Wort Hoffnung in erster Linie den Glauben an eine Verbesserung ihrer Situation, egal ob sie auch nur die geringste Chance haben, hoffen zu dürfen. Wer kein Brot hat, hofft zumindest auf Krumen oder hartes Brot, wer krank ist, auf Wärme und Trost, und wer ohne Bildung ist, auf die Möglichkeit nach einer Schulzeit ein selbstbestimmtes Leben beginnen zu können. Da Gott aber keine anderen Hände hat als die unseren, liegt es an jedem von uns, Hoffnungen nicht als substanzloses Wort zu verstehen, sondern als – gewaltige - Aufgabe zu begreifen, die sich uns jeden Tag von neuem stellt.
Sternstunden unterstützt aktuell den Brot und Bücher e.V. beim Neubau einer Schule für arme Kinder aus der ländlichen Region Sohphoh in Indien. 2019 wurde der Ausbau von neuen Räumen im SchulCHEN des Erich Kästner Kinderdorfs in Unterfranken gefördert.
Meldung erstellt am: 12. April 2022