Sicherheit

Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im März macht sich Katrin Rohde Gedanken zum Thema „Sicherheit“ in Burkina Faso nach dem Militärputsch.

Sternstunden unterstützt die Versorgung der AMPO-Waisenkinder für ein Jahr. (© Foto: AMPO International e.V.)

28 Jahre sind nicht 28 Tage!

Das ist eines der über tausend Sprichwörter in Burkina Faso. Diese werden ernsthaft oder lachend zitiert und lassen Platz für weite Auslegungen. Ob Marktfrau oder Minister, ob Nachtwächter oder Lehrerin: jeder kennt sie alle, und die Bedeutung wird in Bussen, auf der Straße, im Parlament oder einer Arztpraxis ausgiebig diskutiert. Schließlich sind sie hunderte von Jahren alt, und unsere Vorfahren werden in höchstem Maße respektiert, Weisheit wird anerkannt.

Gerne vergleicht man sich hier mit jedem, ob in der Warteschlange bei der Sparkasse oder per Zufall in einem Restaurant. Das vermisse ich immer, wenn ich in Deutschland bin - das Interesse am Gegenüber, die rege Anteilnahme am Leben anderer, die man eigentlich gar nicht kennt, die freundliche Neugierde auf anderer Leute Ansichten. Wenn ich das in Deutschland versuche, werde ich oft schräge angeguckt, aber ich mache das gerne immer wieder – Gewohnheit, denn ich bin 28 Jahre hier in Burkina Faso, und Sie wissen ja nun: 28 Jahre sind nicht 28 Tage, sondern eine lange, lange Zeit der Erfahrung.

Darum werde ich in letzter Zeit häufig nach meiner Meinung zu unserer Sicherheitslage gefragt, wie diese denn nun aussähe: davon kann ich gerne aus der Sicht der meisten Menschen hier erzählen.

Stellen Sie sich also vor, wir sitzen in Ouagadougou in einem einfachen Straßenrestaurant und trinken eine Brause. Um uns herum tobt das Leben. Jede Menge Straßenverkäufer halten bei uns an und bieten ihre Ware feil, von Badeschwämmen bis zu Tomatenpüree in Dosen, von Büchern und Seife über Zitronenpressen und Socken geringelt bis zu frischen Mangos. Eselskarren werden vorbeigetrieben, mitten im rauschenden Verkehr mit tausenden von Mopeds, Autos, Fahrrädern und Handkarren treiben sich Hühner, Hunde und kleine Bettler schon mit vier Jahren herum. Der Lärmpegel ist beträchtlich, die Farben berauschend.

Vom Tisch nebenan ruft man uns zu: „Habt Ihr das gehört? Unser neuer Präsident ist an die Front der Dschihadisten geflogen, er will wissen wie dort die wirklichen Verhältnisse sind. Das hat der alte Präsident nie gewagt. Was sagt ihr dazu?“

Natürlich sind wir begeistert! Endlich jemand, der die Dinge in die Hand nimmt! Kein Wunder, dass dieser Putsch [Meuternde Soldaten haben am 25. Januar 2022 Burkina Fasos Präsident Roch Marc Kaboré gestürzt und die Macht in dem westafrikanischen Krisenstaat übernommen, Anm. d. Red.] vom größten Teil der Bevölkerung sehr begrüßt wurde, denn so wie es war, konnte es nicht weitergehen.

Die burkinischen Soldaten im Norden unseres Landes, allein in der Sahelzone gegen die gut ausgerüsteten Söldner, die sich oft Muslime nennen, hatten kaum Waffen, keine Munition und nichts zu essen. Die meisten Hilfsgelder aus dem Ausland sind durch Korruption verschwunden, ganze Waffenlieferungen einfach weg. Die Söldner kommen in Gruppen auf Mopeds aus der Weite und schießen einfach jeden tot; Frauen und Männer auf den Feldern, und auch deren Kinder und sogar Babys. 2.600 Schulen haben sie geschlossen, inzwischen gibt es 2.000 Tote, weit mehr als zwei Millionen Inlandsflüchtlinge, von denen sehr viel bei Verwandten unterkommen, andere müssen in Lagern wohnen. Das Land Burkina Faso ist entsetzt: Frieden war hier immer das höchste angestrebte Ziel, kein Wunder bei 60 Ethnien, die sich vertragen müssen. Das ist über Jahrhunderte gelungen, Pastoren, Pfarrer, Imame und weise alte Menschen haben immer dafür gesorgt. Unsere Armut nimmt nun täglich zu, die Bettler an den Ampeln sind nicht mehr zu zählen.

In der Hauptstadt Ouagadougou, in der ich seit 28 Jahren lebe, geht das Leben seinen normalen Gang. Bis auf einige große Anschläge vor ein paar Jahren ist es ruhig. Während des Putsches wurden mal wieder sämtliche Handys abgestellt, es gab Ausgangssperren, aber das ist seit einigen Tagen vorbei. In der Nacht des Putsches hatte ich selbst so einige Kugeln um die Ohren, denn der Präsident, der festgesetzt wurde, wohnte nur zwei Straßen entfernt von mir. Sieben Stunden Hubschrauber, Schnellfeuergewehre, Kalaschnikows und schwere Geschütze direkt vor meiner Haustür – dementsprechend gab es wenig Schlaf für mich. Als es einmal besonders laut knallte, kam mein Mann neben mir im Bett kurz hoch, legte mir tröstlich den Arm um die Schulter und sagte verschlafen: „Wird schon, Chérie. Das ist der fünfte Putsch in meinem Leben, es ist noch immer alles gut gelaufen.“ Er drehte sich um und schlief friedlich weiter.

Für mich war es erst der dritte, und es war wunderbar wie ganz Ouagadougou am nächsten Morgen begeistert auf die Straße ging und den neuen Präsidenten feierte. Es musste etwas geschehen, es war ein demokratischer Putsch – wenn es so etwas denn gibt – mit dem Einverständnis des Volkes. Natürlich können wir nicht sagen, wie es weitergehen wird, aber bis jetzt schlägt sich der Neue ganz gut, hat diverse korrupte Minister entlassen und versucht gerade, eine neue Regierung zu bilden. Dass der Westen uns mit Sanktionen strafen will, ist der völlig falsche Weg und führt nur zu noch größerer Verarmung der Menschen.

Wir bezahlen mal unsere Brause. Alle Tischnachbarn waren sich einig über den Putsch und die neue Regierung. So geht es mir in allen Gesprächen seit Tagen. Wir verabschieden uns herzlich und zuversichtlich voneinander: „Dass Gott uns die friedliche Straße gebe!“ Ja, beten tun wir hier alle, egal welcher Religion, vor allem für Frieden in unserem Land. Katholiken und Muslime leben hier seit Jahrhunderten friedlich. „Gott ist Wasser, ob Du das aus einem Becher oder einem Eimer trinkst, das ist egal!“

In unserem Waisenhaus AMPO haben alle 140 Mitarbeiter jedenfalls beschlossen, in Ruhe positiv abzuwarten und dem Neuen eine Chance zu geben. Betroffen sind wir selbst vor allem wegen unserer großen Krankenstation. Innerhalb von zwei Jahren sind aufgrund der Terrorangriffe unsere Patientenzahlen von 40.000 auf 70.000 jährlich gestiegen. Wir sind völlig überlaufen von verarmten Menschen, vornehmlich Müttern mit Kindern. Morgens um 6.00 stehen werktags schon etwa 100 Frauen vor der Tür.

So sieht also unser burkinischer Alltag nach dem Putsch aus: voller Zuversicht, das ist typisch für die hiesige Mentalität und für den Glauben, der hier allgemein herrscht. Ein Sprichwort sagt: „Wenn das Hirsebier für die Feldarbeiter sorgfältig zubereitet ist, wird auch die nächste Ernte gut.“ So hoffen wir gemeinsam.

AMPO-Initiatorin Katrin Rohde wanderte vor 27 Jahren nach Burkina Faso aus und gründete dort Waisenhäuser. (© Foto: Sternstunden)

Meldung erstellt am: 21. März 2022