Zeitreise mit den BR-Sprechern
Der Bayerische Rundfunk hat mit seinen Sprech(er)stunden im Rother Augustinum beschwingtes, aber auch nachdenkliches Erinnern an die Aufbruchstimmung vor 50 Jahren präsentiert – und nebenbei mit Spenden für die "Sternstunden" und ein Demenzprojekt der Kreisklinik Roth auch noch Gutes getan.
Die bunten Prilblumen pappten als Kulisse an der Bühnenwand, daneben das Peacezeichen und Smileys mit Stirnband. Und natürlich: eine Vespa, original in verwaschenem Gelb. "Die bewegten 60er", hat der BR den Abend im Augustinum genannt, und nahezu alle im Saal erinnerten sich sofort wieder an Hippies und an "Hair", an Rudi Dutschke und Heinz Erhardt, an die Beatles und Roy Black.
Diese Erinnerungen weckte eine unterhaltsam gemixte Form aus Musik und Lesungen: Sichtlich vergnügt führte BR-Moderator Martin Fogt mit seinem exzellenten BR-Sprecherteam sowie mit der immerhin 13-köpfigen, eindrucksvoll und adhoc besetzten BR-Combo durch die wilden, bunten Jahre. Schon die Auswahl der Texte war vielversprechend und bot nicht nur rauschgeschwängerte Hippie-Nostalgie. Eindrucksvoll trug Michael Atzinger die Beschreibung von Cees Noteboom der Massendemonstrationen zur Besetzung der Sorbonne vor: "Die größte Menschenmenge, die mir je zu Gesicht gekommen ist."
Dann die Tagebucheinträge von Gretchen Dutschke-Klotz, die sich mit mildem Spott an das Machogehabe der frühen Kommunarden erinnert, die ja doch im autoritären System-Muff festhängen: "Während draußen die Weltrevolution wartet, regiert drinnen im Reich der Gardinen noch Mutti", verlas Susanne Alt so lakonisch, als ob all das gerade erst und sie selbst dabei gewesen wäre. Gewitzt und klug dem unkonventionellen Versmaß von Heinz Erhardts Gedichten folgte Florian Schwarz: Reime wie "das Nasshorn und das Trockenhorn" oder "die Made" waren dem Publikum so gut bekannt, dass er zum Mitsprechen gar nicht ermuntern musste.
Und die wirklich wichtigen Fragen rund um die Welturaufführung von "Hair", wie Nick Hornby sie mit wunderbarer Komik beschrieben hat, führte Patrick Zeilhofer belustigt vor – Sie alle nahmen mit dem Charme ihrer Stimmen die Zuhörer sofort "beim Ohr". Jerzy May lieferte dann noch eine selbst geschriebene Groteske über sein Reset in die 68er, was sich im Duett mit Katja Schild als Sprachassistentin Selexa zum amüsanten Hörspiel auswuchs.
Musikalisch zauberte die instrumental reich bestückte Combo unter Winfried Messmer Erinnerungen herbei. Vom Bestseller-Schlager "Sag mir quando, sag mir wann?" über die Winnetou-Melodie bis zum Beatles-Medley und Trude Herrs damals frech-frivoler Forderung "Ich will keine Schokolade, ich will endlich einen Mann" traten die Musiker als gutgelauntes Tanzorchester auf – hie und da im 60er-Jahre-Mini, mit Goldkettengürtel oder mit Riesenkragen am Satinhemd.
Dass das Peace-Zeichen ans Hemd geheftet oder ein Stirnband umgebunden war und Katja Schild zu ihren viel beklatschten Gesangseinlagen Sonnenbrille und Etuikleid trug, verlieh dem amüsanten Abend noch eine Zusatzportion Augenzwinkern.
Am Ende freute sich Wolfgang Wagner, der Stiftsdirektor des Augustinums, nicht nur über eine denkwürdige Rückschau und "auf das nächste Mal Radiohören", sondern auch über einen gut gefüllten Spendenkorb. Die Hälfte der Spenden, nämlich 2301 Euro, kommen Sternstunden zugute.
Meldung erstellt am: 21. November 2018